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Montag, 31. Juli 2017

Fellini war ein Traditionalist (1)

Angeblich ist es einer der Lieblingsfilme des jetzigen Papstes. Aber nicht das war der Grund, warum  der VdZ zugriff, als er ihn jüngst bei einem Antiquar günstig "La dolce Vita" von Federico Fellini (1960) als DVD erstand. Und ihn des Abends gleich wieder einmal ansah, diesmal in aller Ruhe, samt Notizen, zu denen er sich bald gedrängt sah. Denn wie es immer ist, fielen ihm diesmal, im Licht derzeitiger Fokussierungen, Grundzüge auf, die er auf diese Weise noch nicht "gesehen" hatte, die ihm aber erstmals den Schlüssel zu diesem Meisterwerk (und das sagt er nun aus voller Überzeugung) in die Hand gaben.

"La dolce vita" zeigt nämlich die devastierenden Folgen des Einbruchs der Nachkriegswelt in die europäische Kultur, die sich durch die beiden ruinösen Weltkriege selbst zerstört hatte. Die sich nun manifestierende Welt ist aber eine amerikanische Welt, und wäre sie nur das: Sie ist eben gar keine Welt mehr. Die Amerikaner suchen Europa aus genau diesem Grund auf. Sie suchen etwas, das sie hier aber nicht mehr finden, denn diese Welt hat sich den amerikanischen Kulturverwüstungen (allen voran in der Kunst erkennbar - Jazz, bildende Kunst) mangels Selbstvertrauen resignativ ergeben. Dieser Amerikanismus aber zieht seinen Richtlinien nur noch aus subjektiven Befindlichkeiten, Gefühlen, Stimmungen, und damit - Begierden.

Die Opfer der freien Liebe

Allem voran und ganz konkret aber war es somit das absurde Ideal der "freien Liebe", die die Menschen der alten Welt ins Mark traf. Fellini muß das so gesehen und erkannt haben. Er zeigt, wie ihnen damit jede Basis des Lebens unter den Fingern zerrinnt. Sie vermögen es nicht mehr, stabile Lebensentwürfe aufzurichten, und im Wechselspiel mit der Reaktion der Männer darauf kann keine Welt mehr bestehen.

Die Hauptopfer dabei, aber zugleich ihre Träger, sind die Frauen. Die nunmehr völlig haltlos, ja zu Huren werden. Und doch nur eines wollen: Eine Ehe. Aber sie schaffen es nicht mehr, in diesem Zustand einen Mann zu binden. Mehr als kurzfristige Löschung von Begierden, unter vielerlei Illusionswelten, ist nicht mehr möglich.

Daraufhin geben die Männer endgültig auf, resignieren, und reißen alle Schranken nieder, was dann bis zu Rohheit und Gefährlichkeit geht. Sie wissen nicht um das Gift, das sie mit der amerikanischen Lebensweise zu sich genommen haben und weiter zu sich nehmen. Kultur ist dann nur noch Dekor, Spielzeug einer kurios gewordenen Welt. Alles endet im Mißbrauch. Sodaß das Echte, das Wirkliche, das Tiefe und Transzendente, das immer wieder und wieder hochkommt, nur noch schüchtern wie sofort niedergetretene Grasspitzen durch den Asphalt bricht. Dabei geht es allen Europäern, den einfachen Italienern selbst, schon ebenfalls nur noch ums Geld, um genau diese fatale Lebensführung erreichen zu können, während ihre wahre Umwelt völlig desolat wurde. In der das Wirkliche selbst - die Natur, Gewitter, Sturm - zur Poesie wird, die wenigstens noch in Tonbandaufnahmen wirken soll.

Immer wieder kommt dieses Motiv, dieses Anrennen der wirklichen Wirklichkeit, die aber nicht mehr durchdringt. Die Natur hat keine Botschaft mehr, sie ist entweder lästig, oder wird überhaupt ignoriert. Selbst im überschwemmten Keller läßt sich Liebe machen, man muß nur genug ausblenden. Und bezahlen. Mit Kultur hat Liebe nichts mehr zu tun. Wo sie in die Nähe der Kultur kommt, weil etwa Ehe "droht", wird sie sogar brutal aus dem Weg geräumt. Auch über Ehe wird zwar viel, aber nur belanglos geredet, sie ist bestenfalls ein pikantes Spiel.

Vorahnung des 2. Vatikanums

Es wirkt wie eine kleine Nebenbemerkung, es nimmt nur wenige Sequenzen ein, und doch zeigt es eine Linie. Denn Fellini richtet sogar eine Anklage an die Kirche, den Vatikan. Der sich um diese reale Lebenswelt kaum noch zu kümmern scheint. Wenn er etwa "mit einem Telephonat" die Echtheit einer Marienerscheinung konstatiert, die angeblich zwei Kinder haben und denen daraufhin das einfache Volk, das von so vielem echtem Leid geplagt ist, das so viel Hoffnung auf eine von außen kommende Macht hat, die alles gut machen kann, sofort folgt. Als interessiertre sich die Kirche selber nicht mehr für die Realität der Menschen, des Transzendentalen.

Selbst wenn es nur unbedeutend scheint, man könnte es glatt übersehen, wie so vieles in dem Film, zeigt sich das auch in der kurzen Szene in der Kirche, wo der Pfarrer keine Einwände hat, weil auch er sich "weltoffen" beweist, wenn der Protagonist auf der Orgel der altehrwürdigen Kirche Jazz anspielt. Als hätte Fellini die Verwüstungen der Liturgie, die zehn Jahre später eintrat, vorausgesehen. Warum? Weil sich die Kirche angebidert hat, weil die Kirche die Menschen im Stich gelassen hat, sich für sie gar nicht interessiert, dieses Interesse nur noch vorspielt und jede Gegenwehr aufgegeben hat. Zehn Jahre später sollte das auf tragische Weise definitiv werden. Mit dem 2. Vatikanum hat die Kirche kapituliert der Welt das zu geben, was sie so dringend bräuchte. Sie ist im amerikanischen Lärm aufgegangen. Wer die sogenannten "geistigen Erneuerungen" kennt, die groteskerweise von so vielen als Zukunft gesehen werden, auch heute, sieht es in voller Gestalt.

Wie leicht kann man diese Facette übersehen, und nicht nur diese. Der Film ist voll von scheinbaren Kleinigkeiten, ja er ist eine rasche Abfolge von Dingen, die man für sich übersehen könnte. Gerade die Geschwindigkeit, in der sich dieses Panorama abwickelt ist es ja, die verhindert, daß noch Geist und Ordnung und Orientierung möglich werden. Dazu aber muß das Vielfältige in Eines geführt werden, und dazu braucht es Ruhe, Zurückgezogenheit. Besinung, um die Geräusche der Wirklichkeit hinter allem Lärm der Gegenwart noch zu hören. Aber diese fliehen die Proponenten regelrecht, sie scheintn sogar Angst davor zu haben, vor diesem Ruf aus einer anderen Welt. Großartig die ganz kurze Szene, in der Mastroiani (dieser Gesichtsausdruck alleine wäre jeden Oscar wert) in der Kirche zurückschreckt, als Bach erklingt. Dieser eine kurze Gesichtsausdruck, diese eine Körperspannung aus Angst, Flucht und Betroffenheit, die Mastroiani hier zeigt, erzählt sogar den ganzen Film.



 Morgen Teil 2) Wahrheit und Prophetie der Kunst
- Fellini war ein Traditionalist weil er wahrhaftig war






 *040717*