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Donnerstag, 31. August 2017

Als die Welt zu Ende kam

Warum Kaiser Franz Josef so ostentativ seinen jährlichen Sommerurlaub auch in jenem August 1914 antrat, während die Diplomatie auf Europas Höfen auf Hochtouren lief, ist bis heute umstritten. Ähnlich wie der deutsche Kaiser, der sich trotz der sich überschlagenden Ereignisse auf seine Hochseeyacht begab, um sich in der Ostsee zu erholen, wollte vermutlich Franz Josef nicht den Anschein erwecken, Österreich-Ungarn plane dramatische Vorgehensweisen. Sie wurden es trotzdem. Mit einigen Fernsprüchen zwischen Tee und Kuchen, in kurzen Gesprächen im Salon mit Besuchern aus Wien entschied der Kaiser von hier aus den Angriff auf Serbien. In Wien trafen dann die Kriegserklärungen der europäischen Staaten als deren technische Folge ein, eine nach der anderen, eine nach der anderen Folgekriegserklärungen folgten. Ganz Europa stand binnen kurzem in Flammen.

In Wahrheit war das Attentat von Sarajewo allen nur ein Anlaß gewesen, recht sicher von England herbeigezündelt, recht sicher von anderen leichtfertig zugelassen, um die viele Jahre und Jahrzehnte schon aufgebauten Spannungen und Absichten einer die alten Kleider sprengen wollenden Welt endlich ins Werk zu setzen. Die Welt war voller neuer Elemente, aber es fehlten die Kleider dafür. Was nach einem kurzen Telephonat des Kaisers, in dem er vermutlich auch noch falsch informiert dem Angriff am Balkan zustimmte, passierte hatte aber noch niemand denken können. Ein Krieg ohne Ehre, ein Krieg ohne Kultur, der nur noch Nutzen, Zweck und Effekt kannte, übertraf alles was vorstellbar war. Ein Krieg in dem sich nur noch Maschinen begegneten. Schon zwei Jahre vor Deutschland hatte Österreich-Ungarn nur wenige Tage nach Kriegsbeginn die gesamte Wirtschaft des Reiches unter Zentralplanung gestellt.

Denn auf einen länger dauernden Krieg war das Land gar nicht vorbereitet. Bis Ende 1914 fiel praktisch jeden Monat die gesamte zu Anfang eingerückte Armee, mußte Monat für Monat ersetzt werden. Das Blutbad, wenn Kürassiere gegen mit Maschinengewehre ausgerüstete Schützengräben stürmten, bereit zum Zweikampf Mann gegen Mann, Ehre gegen Ehre, war unfaßbar, der Schock unendlich. Und es fielen zuerst die Besten, die Mutigsten. Ihr Mut zählte nicht mehr. Cleverness, die mit Mut nichts zu tun hat, war nun gefragt. Für Österreich keine vorhandene Kategorie. Es folgten die Niedrigen. Die Schäbigen. Die Cleveren. Der Krieg wurde heimtückisch, und diese Niedertracht war plötzlich sogar erforderliche Tugend, um zu überleben.*

Eine Welt brach im August 1914 zusammen, und hier war der Knotenpunkt der sich löste. In der Kaiservilla in Bad Ischl. Lange schon vorbereitet, lange schon in der Kunst erahnt, ja herbeigesehnt, ja ... gefordert, um Raum für eine neue Welt zu geben, egal wie sie aussah. Sie mußte nur aus anderen Quellen kommen. Millionen Soldaten kehrten aus den Gräben zurück und verstanden nichts von dem, was da passiert war, verstanden auch nichts von dem, was sie zu Hause antrafen. Sie waren irrelevant geworden. An dieser neuen Welt gab es nichts mehr zu verstehen, sie verlangte sogar das Ausschalten des Geistes. Stillschweigend waren sie deshalb auch 1939 dem Ruf zu den Waffen gefolgt. Eine ganze Generation verstummte, und versuchte in ihren höchsten Geisteskräften zu rekonstruieren, was da zu Grabe gesunken war. Die Philosophie, die analytische Wissenschaft kam zu einer Blüte, die zu den Hochzeiten des Abendlandes gerechnet werden muß. In diesem nunmehr winzigen Österreich destillierte die ganze Welt ihre Schemata, machte sich erkennbar, aber bildete auch jene neuen, aus denen nur noch Wüsten entstanden.

Was nach 1918 kam war keine neue Welt, sie entschwand mit jedem Bücken danach. Es war nur der Todeshauch über den Ruinen der alten, die noch einige Jahrzehnte in Todesleiden zuckte, ehe sie verschied.



Kaiservilla Bad Ischl



*Noch bis ins 15. Jahrhundert war der Gebrauch etwa der Armbrust ausdrücklich nur beim Einsatz gegen Heiden gestattet. Denn die hielten sich an keine der landläufigen Ehrbegriffe. Aber die Trennung von Tat und Effekt war unehrenhaft. Die neuen Gewehre, vor allem die Maschinengewehre, wo niemand mehr wußte, was er überhaupt anrichtete, wo niemand mehr dem Feind Auge in Auge gegenüberstand, widersprachen allem, was zum Krieg im Abendland bislang gedacht worden war. Krieg war immer noch eine Sache der Männer, der Ritter gewesen, zu dem jeder wurde, der für Gott-Kaiser-Vaterland in den Krieg zog. Nun wurde es zum Geschäft der besseren Techniker, der besseren Industriellen, die aber noch nie einen Mann einen von ihnen verursachten Tod sterben hatten sehen.





*090817*