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Dienstag, 1. August 2017

Fellini war ein Traditionalist (2)


Teil 2) Wahrheit und Prophetie der Kunst
- Fellini war ein Traditionalist weil er wahrhaftig war




Der Amerikanismus erstickt alles

Diese vielen Vereinzeltheiten machen es schließlich aus, sie sind die Träger der Botschaft, sind die Botschaft des Films selbst. Genau das ist das Leben, das sich ausgebreitet hat! Sodaß das, worin die Menschen leben, nur noch der Plaque einer wie zufällig zusammenhängenden Bilderwelt von Einzelmotiven, Stimmungen und Augenblicken ist, denen jede wirkliche, sinnhafte Verbindung fehlt. Genau damit wird die Lebenswelt zu einem einzigen Plagiat, zu einer Ansammlung von Konventionen, und steht damit in völligem Gegensatz zur Überzeugung der Menschen darin, die sich in ihrer Spontaneität (die doch nur Zügellosigkeit und Geistferne ist) für besonders originell halten. Und pausenlos Versatzstücke in Händen halten, Relikte einer Kultur, die allesamt ihren Ort, ihren Sinnzusammenhang verloren haben. Es gibt keine Gesamterzählung mehr, als Ordnung, die Relevanz hat. Es gilt der Konsum, der sich im Amerikanismus perfekt ausgebildet hat, dem Europa nun wehrlos, ja gierig gegenübersteht.

Der Amerikanismus ist aber mit Europa unvereinbar, das zeigt sich schonungslos. Er hat eine Kultur überlagert, zu der verglichen er wie eine Mickey Mouse-Variante der Oberflächlichkeit wirkt, die ihre Macht nur dem Geld und der geschichtsvergessenen Selbstschwäche der Europäer verdankt. Was alles nicht zufällig nur mit viel viel Alkohol überhaupt erträglich ist, ja der dazugehört, in dem Film wird enorm viel getrunken. Und man denke nur an die über US-Filme einziehende "Trinkkultur", bei der zu jeder Situation sofort "ein Drink" gehört. Sie geben es ja selber zu!

Die alte Welt ist, wo sie noch besteht, und wo sie noch lebensernst ist - und für das einfache Volk ist sie das - bestenfalls noch im Weg, oder idyllisches, auch rührseliges, ins Gefühlssurrogat der Sentimentalität niedergedrücktes Postkartenmotiv. Und alle Geschichte, von der jeder Stein hier erzählt, wurde zu Geistern, dazu verbildlicht, also zu Gespenstern. Der alte Geist Europas wird nun zum Kitzel des Spuks, der der oberflächlichen Unterhaltung dient. Die geistig tiefste Figur des Films bringt schließlich sogar sich und seine beiden Kinder um (während seine Frau auf "Lepsche" ist). Es gibt keine Zukunft mehr für den Geist.

Mehr noch: Diese Welt kann sich nur deshalb ausbreiten, weil die Generation, die das Kulturerbe in Händen hält - auch dieses Motiv zieht sich durch den gesamten Film - kampflos aufgegeben hat. Dabei aber ihren Kindern alle Mittel in die Hände gab, ohne daß diese damit noch umgehen könnte. Weil ihr das Verstehen fehlt, die Autorität zerbrochen ist. Mit dem Verlust des Respekts aber verschwindet jener Geist, der diese Kultur aufgebaut hat. Das Eerbe wurde zu einem bloßen Depot von Requisiten für eine Welt, die nur noch durch Geld, den neuen Gott, bewegt wird. Und viele tun für dieses Geld alles, wirklich alles, es geht nur noch darum.

Medienkritik

Die stattdessen aufgeblasene Ersatzkultur der Filmstars und der Glamourwelt, ebenfalls nur durch Geld getragen, ist geistlos, kann mit Geist nichts anfangen. Anita Ekbergs berühmte Badeszene im Trevi-Brunnen ist genau so zu deuten. Das einzige was bleibt ist haltlose Lust, auch Mastroianni fällt nichts sonst dazu ein. Im Subjektiven läßt sich das Objektive nicht mehr erkennen, dort wird es bedeutungslos, der Trevi-Brunnen zum dekorativen Planschbecken der Lust. Wer sich im Objektiven aber nicht verankern kann, der fällt in eine Nicht-Welt, die nur durch Kuriosität, Augenblicksgefühl (das noch dazu ständig wechselt, kommt und geht, hervorgerufen und weggeblasen wird) noch irgendetwas hergibt, und diese müssen ständig gekitzelt und immer schrankenloser bemüht werden, sonst bleibt gar nichts mehr.

Noch ein Punkt könnte an dem Film übersehen werden. Er enthält eine sehr tiefgründige Medienkritik. Nicht in der oberflächlichen, eigentlich der Konvention folgenden Abscheu, die einen angesichts des Verhaltens der Papparazzi, der Medienvertreter befallen könnte (oder: "sollte"). Das wäre viel zu billig. Fellini beschreibt den Umbruch der europäischen Welt zu einer "Welt aus zweiter Hand", die die echte, die wirkliche Welt regelrecht verdrängt. Es ist die Welt selbst, die zum Dekor wird. Die Achtung vor dem Alten ist verschwunden, dieses hat keine Relevanz mehr, ist in seinen Übrigbleibseln nur noch Spielzeug in der Hand der neuen bürgerlichen Menschen, die zu Kindern mutiert sind. Von dort aus wirken sie zweifellos in die einfacheren Volksschichten, die sie zum Vorbild haben.

Den Menschen aber geht nicht mehr um eine objektiv bedeutsame Welt. Sondern nur noch um subjektive Stimmungen, und denen soll dienen, was halt im Raum "herumsteht". Es ist also der Raum selbst, der zerfällt, weil er seinen Sinn, seine Ordnung verloren hat. Was blieb wird bestenfalls noch "gebraucht", also für die momentane, ständig wechselnde Begierde mißbraucht. Es ist bewundernswert, daß Fellini gerade für diese Phase der völligen Kulturresignation ein Rudel Homosexueller mit ihrer "Schwulenkultur" auftreten läßt, die geradewegs aus dieser zerfallenen Welt zu kommen scheinen, die sie sogar regelrecht repräsentieren und "sind". Sie sind die einzigen, die diese Welt brauchen, um existieren zu können. Die Häßlichkeit einer solchen Welt ist unübersehbar. Die alle anderen aber zerstört. "La dolce vita" ist damit eine ganz subtile, sehr wahre Kritik des Kapitalismus.

Der Faschismus

Eng damit verknüpft ist Fellinis Kritik am Faschismus Mussolinis, die "La dolce vita" ebenfalls enthält. Aber auf ganz andere, kluge, geistig tiefe Weise, nicht mit dem strohdummen, geistlosen Faschismusgequatsche, das die Gegenwart bestimmt, wo doch gar niemand auch nur eine Ahnung hat, was Faschismus überhaupt ist. Bei Fellini ist es eben NICHT der übliche "böse Mann"-Knubbel, den er als Fetisch an die Wand hängt um zu zeigen, wie gut er selber ist. Vielmehr wird in den Bildern deutlich, wie sehr dieser Faschismus selbst bereits die Welt in Dekor verwandelt hat. Der Monumentalstil des italienischen Faschismus zeigt sich als perfekt dazu passende Vorstufe zu dem, was mit dem Amerikanismus dann einbrach, als sein Wegbereiter (sic!) also.

So birgt der Film enorm viel Wahrheit, ja in der kaleidoskopischen Aneinanderreihung von Phänomenen der 1950er Jahre eine Verstehenshilfe zur Gegenwart. Was die Wahrheit bestätigt, daß nicht das vorgesetzte Etikett als das Wesentliche beim Künstler ausmacht, sondern das die Wahrhaftigkeit als sein erstes Gebot begreift, so häßlich sie manchmal sein mag. Denn dann zeigt sich in seiner Darstellung tatsächlich das Geflecht der Zeit, und es zeigt sich als Spiel von Figuren, die jede für sich eine Diagnose ermöglichen. Als die eigentliche Aufgabe des Künstlers: Eine Aussage über die Zeit zu treffen, sie regelrecht zu sezieren und damit das Wahre, Wirkliche erkennbar zu machen, das freilich kaum erkannt wird, weil sie immer voraus ist. Wer hätte somit gedacht, daß Fellini - er selbst hätte sich vermutlich gegen diese Zuordnung gewehrt - ein in seiner Kritik hoch aktueller Traditionalist ist?

Im Netz ist der Film (leider) in voller Länge und kostenlos nur im italienischen Original zu finden. Aber die Bilder leiten auch den, der dieser Sprache nur wenig mächtig ist (wie der VdZ), man versteht ihn also recht leicht.*








* Dem Leser sei ohnehin dieses Experiment, dem sich der VdZ seit langem in Ungarn aussetzt, ans Herz gelegt: In einer Umgebung, deren Sprache er nicht mächtig ist, zu leben. Er wird mit Staunen feststellen, daß er sich erstaunlich gut orientieren, ja verständigen kann. Nur das Denken in dieser Sprache ist nicht möglich oder eingeschränkt. Aber der Mensch ist überall derselbe, und das, was alle einbettet und trägt, worauf sich alle beziehen, ist im letzten immer das Eine, allen Menschen Gleiche - die Wahrheit. Das hat ein Sohn des VdZ aus seinen Erfahrungen auch aus Ghana berichtet, und erst jüngst ein Kollege der sich regelmäßig in der Mongolei aufhält. Erst wo es sehr kulturspezifisch und differenziert wird, wird es schwieriger.




*040717*